Happy Birthday, Herr Naegeli!
Harald Naegeli im Musée? Allein der Gedanke daran, den sogenannten «Sprayer von Zürich» in das kleine Haus am Predigerplatz zu holen, erschien vielen Kunstkenner*innen abwegig. Zu gross der Name, zu unbedeutend das Museum. Und überhaupt: Graffiti im Museum – wie soll das bitte gehen? Zumal sich Naegeli doch nie domestizieren, nie institutionalisieren lassen wollte. So einiges sprach anfangs dagegen, Harald Naegeli im Musée Visionnaire eine Plattform zu geben. Was dafür – oder besser wer dafür sprach, war allerdings Naegeli selbst: Wenn schon im Museum, dann sollte es genau unser Haus sein, eine Institution, die so visionär und unangepasst ist wie er selbst, die den etablierten Kulturbetrieb hinterfragt und Diskussionsräume eröffnet, wo andere lieber stumm bleiben. Mit der Ausstellung «Der bekannte Unbekannte» holten wir Harald Naegeli nach seiner Rückkehr aus dem Düsseldorfer Exil im Jahr 2021 erstmalig ins Museum. Das Ziel: ein ganzheitliches Bild des Künstlers zeichnen. Denn Naegeli ist nicht nur Sprayer. Er war auch immer Zeichner, der mit seiner feinen, ja beinahe zärtlichen Bildsprache Naturbeobachtungen in Skizzen und Bilder übersetzt, der unermüdlich collagiert und gar nicht anders kann, als durch und durch Künstler zu sein – ob die Leinwand nun in Form einer Häuserfassade daherkommt oder als Blatt Papier in seinem Zeichenblock. Uns ging es darum, den Künstler hinter dem Sprayer sichtbar zu machen und zu zeigen, dass es sich lohnt, mit offenen Augen und einem offenen Herzen für das, was Kunst ist oder sein kann, durch die Stadt, ja das Leben zu gehen. Denn Harald Naegelis Museum – das ist nicht nur das Musée, das sind vor allem die Strassen der Zürcher Altstadt, das ist die Parkgarage unter der ETH. Gemeinsam mit Harald Naegelis Assistentin Anna-Barbara Neumann entstand schliesslich auch die Idee, die digitale Plattform sprayervonzürich.com aufzubauen. Hier können Adleraugen mit einem Blick für grazile Sprayzeichnungen ihre fotografischen Entdeckungen in eine interaktive Karte einspeisen. Denn wenn die Strasse das Museum ist, dann sollen alle, die darauf unterwegs sind, mitkuratieren dürfen. Eigentlich hätte die (Liebes-)Beziehung zwischen Musée und Sprayer hier langsam abklingen können. Aber wenn die Kunst nicht hinter Galerietüren und Archiven ruht, sondern mitten in der Stadt (oder auch darunter), sind Überraschungen vorprogrammiert. Zum Beispiel die Sanierung der ETH-Parkgarage, in der sind seit Jahrzehnten rund 35 Original-Naegelis zuhause sind. In enger Zusammenarbeit mit ETH, Architekt*innen und einem Restaurator konnte nicht nur zahlreiche Graffitis gerettet werden; einige der Sprayfiguren durften wir im Rahmen einer Sonderausstellung tatsächlich ins Museum holen. Dafür wurden die jahrzehntealten Graffitis in einem aufwendigen Verfahren von den Wänden gelöst, die Wände ausgebaut und im Musée wieder aufgestellt. Eine Aktion, die wohl ihresgleichen sucht. Oder hat schon einmal jemand von einem Graffiti gehört, das mitsamt Untergrund vom Stadtraum in den White Cube gehievt wird? Die aussergewöhnliche Ausstellung mag dazu beigetragen haben, dass der Naegeli-Hype noch immer kein Ende gefunden hat. Immer wieder erreichen uns Anfragen für geführte Naegeli-Spaziergänge, bei denen wir uns auf die Spuren des Sprayers machen. Sogar einen Audio-Guide von Kindern für Kinder haben wir in diesem Jahr gemeinsam mit zwei Schülerinnen vom Projekt Schule im Museum auf die Beine gestellt. Auch die Buchpremiere von Harald Naegelis neustem Werk «Den Vogelflug, die Wolkenbewegung misst man auch nicht mit dem Zollstock!» fand im Juni im Musée statt, begleitet von einer Benefizauktion, für die Naegeli dem Musée und dem Gnadenhof Hof Narr in Egg rund ein Dutzend Zeichnungen zur Verfügung stellte. Auch wenn es inzwischen andere sind, welche die Spraydosen zum Klackern bringen – Harald Naegeli denkt noch lange nicht ans Aufhören. Und wir wollen nicht aufhören, den Künstler zu feiern. Einen ganz besonderen Anlass dazu gibt es am 4. Dezember. Dann wird Harald Naegeli 85 Jahre alt. Zum runden Geburtstag wollen wir dem «Godfather of Graffiti» ein ganz besonderes Schaufenster widmen. Darin zu sehen: «Tatortaufnahmen» der Zürcher Polizei aus den 1970er-Jahren, welche über Umwege in die Sammlung des Kunsthauses gelangt sind – und die uns einmal mehr daran erinnern, was die Streetart im Kern eigentlich ausmacht. Denn auch wenn Harald Naegelis Werke heute in Museen zu sehen sind – ohne den Tabubruch und die Grenzüberschreitung wären die ikonischen Strichmännchen am Ende doch nur Illustration geblieben. Und vermutlich längst vergessen. Die Vernissage des Naegeli-Schaufensters am Beatenplatz 2 in Zürich findet am 4. Dezember von 12.15 – 12.45 Uhr statt und wird von Manuela Hitz, Anna-Barbara Neumann vom Atelier Harald Naegeli sowie Angela Thomas von der Max Bill Stiftung eröffnet. Angela Thomas erlebte den Wirbel um Naegelis angeblich illegale Sprayfiguren in den 70er-Jahren aus nächster Nähe mit und war zudem Mitinitiatorin einer Petition zum Erhalt seiner Werke. Am 12. Dezember bieten wir um 17 Uhr zudem eine einstündige Graffiti-Tour auf den Spuren von Harald Naegeli an. Im Fokus: Die Archivfotos, welche im Amtshausschaufenster ausgestellt werden sowie das Jelmoli-Parkhaus, in welchem Naegeli ebenfalls Sprayfiguren hinterlassen hat.
Treffpunkt: das «Naegeli-Schaufenster» am Beatenplatz 2, Kosten: CHF 20/ Person
Anmeldung unter info@museevisionnaire.ch