Drawn Maps of Switzerland
Wie mit dem Lineal auf dem Reissbrett gezogen wirken viele Ländergrenzen, wenn wir den Globus drehen und die dünnen Linien mit dem Finger nachfahren. Wohlkalkuliert – oder Ergebnis eines Würfelspiels? Beides scheint möglich. Seit Jahrhunderten greifen Herrschende zum Skalpell an und teilen die Erdoberfläche in kleine und grosse Puzzleteile, die sie Länder, Republiken, Königreiche nennen. Dass diese Striche nicht nur Wiesen und Wälder, sondern auch Grossmütter von ihren Familien im Nachbardorf trennen? Einerlei. Zumindest auf den ersten Blick. Tatsächlich leben wir in einer Welt, in der die Linien auf der Weltkarte weit mehr als blosse Striche sind; sie bestimmen, welchen Pass wir in der Jackentasche tragen, in welcher Sprache wir Schulaufsätze schreiben oder welche Chancen uns das Leben bereithält – oder verwehrt. Ob die Grenzverläufe auf dem Papier auch der gefühlten Zugehörigkeit der Menschen entsprechen, die innerhalb der Grenzen leben, wird dabei meist ausgeblendet. In ihren Arbeiten macht die indische Künstlerin Shilpa Gupta sichtbar, was kein Atlas abzubilden vermag: Sie erforscht, wie Orte, Menschen und Werte durch Nationalismus, Religion und Grenzverläufe geformt und beeinflusst werden. Ihre Werke stellen dabei immer wieder zwei Fragen in den Raum, die sich direkt an die Betrachtenden richten: Wie steht es um meine eigene Vorstellung von Identität und Zugehörigkeit? Wo würden die Menschen um mich herum den Stift ansetzen, um ihre eigenen Grenzen zu ziehen? Zusammengenommen – oder besser gesagt: übereinandergelegt – bilden diese zwei Fragen den Kern der Arbeit «100 Drawn Maps of My Country». Die indische Künstlerin hatte jeweils 100 Bewohner*innen von Ländern wie Indien oder Italien gebeten, aus dem Kopf eine Karte ihres Heimatlandes zu zeichnen. Legt man die Zeichnungen übereinander, ergeben sie eine Karte, nach der man auf jedem Globus vergeblich sucht – die die Wirklichkeit aber vielleicht viel genauer abbildet. Denn: Wann ist eine Karte «richtig»? Wenn sie Erdkrümmung, Topographie und offizielle Grenzverläufe präzise darstellt und von Kartograph*innen berechnet und ausgemessen wurde? Oder wenn die Menschen, die im Gebiet der Karte leben und die Berge und Täler, Dörfer und Städte wie keine anderen kennen, die Karte zeichnen und beschreiben? In der Ausstellung Landsichtssache zeigen wir eine Transformation von Guptas Werk. Rund 100 Menschen, die in der Schweiz leben, haben im Vorfeld der Ausstellung eine Karte der Schweiz gezeichnet – aus dem Kopf bzw. aus dem Bauch heraus, genau so, wie sie die Schweiz mit ihren Grenzverläufen in ihrem Innersten abgespeichert haben. Übereinandergelegt formen diese individuellen Landkarten eine ganz neue und gleichzeitig doch vertraute Karte der Schweiz – eine Karte, die im Laufe der Ausstellung weiterwächst. Während der Ausstellungsdauer sind die Besuchenden eingeladen, an einer digitalen Zeichnung der Schweiz mitzuwirken, die sich durch das Hinzufügen jeder neuen Zeichnung in stetiger Veränderung befindet. So geht’s: Nimm ein DIN A4-Blattweisses Papier und zeichne mit einem blauen Kugelschreiber den Umriss der Schweiz. Wir nehmen deine Zeichnung entgegen – gerne eingescannt per Email (info@museevisionnaire.ch), auf dem Postweg oder direkt im Museum. Die eingesendeten Zeichnungen legen wir im Anschluss übereinander. Die Karte, die daraus entsteht, wird als Teil der Wir sind gespannt auf deine Karte der Schweiz!
( Kantone, Städte, Berge etc. sollten dabei aussenvor gelassen werden. )
Ausstellung «Landsichtssache» (1.4.-12.10.) im Musée Visionnaire zu sehen sein. Am Ende der Ausstellung wird es ein Plakat geben davon. Alle, die mitgemacht haben, dürfen ein solches Plakat beziehen.