Den Tattoos eine Stimme geben
Wie lässt sich ein Diskussionsraum eröffnen über eine künstlerische Ausdrucksform, die schwitzt, atmet und altert, die sich nur schwerlich in ein Museum einsperren lässt und bei welcher häufig nicht einmal klar bestimmt werden kann, wer nun eigentlich Urheber*in, wer Künstler*in und Kurator*in ist? Die Ausstellung INK* hat uns im Vorfeld vor einige Herausforderungen gestellt – und uns gleichzeitig die Möglichkeit gegeben, unser Kunstverständnis zu hinterfragen und die Ausstellungspraxis des Museums neu zu denken. Nein, tätowierte Haut lässt sich nicht vom Körper schälen und in Bilderrahmen pressen. Was die Haut bzw. der Mensch, den sie umhüllt, jedoch kann, ist erzählen. Deswegen haben wir acht Tätowierer*innen und Tätowierten sowie einem Kurator das Wort gegeben, um uns vor der Kamera ihre eigene Sichtweise auf das Metier (oder auf das Handwerk, auf die Kunst?) zu schildern. Die Filme bzw. Gespräche, die auf den Bildschirmen im Ausstellungssaal und im Pavillon zu sehen sind, bilden gewissermassen das Herzstück der Ausstellung. In einer heissen Augustwoche haben wir das Musée dazu in ein Filmstudio verwandelt, haben Leuchten, Reflektoren und Kameras aufgestellt und in langen Gesprächen die Menschen zu Wort kommen lassen, die (zum grossen Teil) nicht nur wissen, wie sich die Tattoonadel auf der Haut anfühlt, sondern auch auf anderen ihre Zeichnungen und Zeichen hinterlassen: Zürichs dienstälteste Tätowiererin Susan Tütsch traf im Interview nach Jahren erstmals wieder auf den Autor Thomas Meyer, dem sie Jahre zuvor zwei Tattoos gestochen hatte; der über und über tätowierte Mike the Freak erzählte uns von der Bedeutung seiner Hautzeichnungen, die ihren Ursprung im indischen Goa haben. Das Duo Golda Kracks und Max Wernli schätzt vor allem den engen Kontakt und Austausch mit ihren Kund*innen – etwas, dem der Künstler Adrian Schär aka Glace 3000 nur zustimmen kann, für den das Tätowieren nur ein Teil eines grösseren Prozesses ist. Maxime Plescia-Büchi war eigens aus Lausanne zum Interview angereist; er sieht Parallelen zwischen Tattoos und Graffitis, da beides den Kontext von Haut bzw. Wand braucht, um überhaupt existieren zu können. Fritz Hortig durften wir mit der Kamera begleiten, als er gerade dabei war, ein riesiges temporäres Wandtattoo auf die weisse Wand des Pavillons zu malen. Zudem wollten wir von Daniel Baumann – Kurator der Kunsthalle und der einzige in der Runde, dessen Haut bisher keine Bekanntschaft mit der Tätowiernadel gemacht hat – wissen, ob und inwiefern Tattoos überhaupt mit der Kunstbrille betrachtet werden können. Elfeinhalb Stunden Filmmaterial sind am Ende zusammengekommen – viel zu viel, um es ungeschnitten im Museum abzuspielen. Also setzten sich Kuratorin Manuela Hitz und Filmemacher Remo Krieg im Anschluss an die Gespräche in den Schneideraum, sichteten die Aufnahmen, kürzten und schnitten sie zu kurzen Clips, in denen die Besuchenden einen Blick die Köpfe – und vielleicht auch die Herzen – der Protagonist*innen erhaschen können.
Vielleicht trägt die Videoinstallation ja dazu bei, das Metier, ja die Kunst des Tätowierens aus einer neuen Perspektive zu betrachten.